Schrie Jesus auf Hebräisch oder Aramäisch? (Matthäus 27,46)

Als Jesus am Kreuz stirbt liest man, dass er zu Gott schreit. 

Laut Matthäus schrie er: ἠλὶ ἠλὶ⸃ λεμὰ σαβαχθάνι
ἠλί ist Hebräisch und bedeutet "Mein Gott".

Laut Markus schrie er: ἐλωῒ ἐλωῒ λεμὰ σαβαχθάνι
ἐλωΐ ist jedoch Aramäisch und bedeutet ebenfalls "Mein Gott".

Schrie Jesus nun auf Hebräisch oder Aramäisch?


Matthäus 27,46
um die neunte Stunde aber schrie Jesus auf mit lauter Stimme und sagte: Eli, eli, lama sabachthani? das ist: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?
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Markus 15,34
und zur neunten Stunde schrie Jesus mit lauter Stimme [und sagte]: Eloi, Eloi, lama sabachthani? was verdolmetscht ist: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?
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Lösungsvorschläge

Von: Johannes
◷ 13 Mai
(vor 6 Tagen)

Lieber Markus, hier liegt wohl ein Missverständnis vor. Beide Texte sind Aramäisch. Die Worte "lema sabachtani" sind definitiv aramäisch und nicht hebräisch. Für "sabachtani" siehe z. B. Dictionary of the North-West Semitic Inscriptions, S. 1104, Wurzel ŠBQ, aber viel wichtiger: Cook 2015, Dictionary of Qumran Aramaic, S. 230, weil letzteres viel näher an dem Chronolekt Jesu sein dürfte. Im Hebräischen gibt es keine vergleichbare Wurzel mit der Bedeutung "verlassen". Was Eli und Elohi angeht, so sind beide Lexeme in Qumran-Aramäisch als Varianten für "Gott" belegt. Siehe dazu Cooper 2015, S. 10. Wenn man als Arbeitshypothese davon ausgeht, dass die Evangelisten hier entweder selbst Augenzeugen sind oder ihre Information direkt von Augenzeugen haben (die Kirchengeschichte überliefert uns ja die Information, Markus habe den Bericht des Petrus niedergeschrieben), den Text jedoch möglicherweise Jahrzehnte später erst zu Papier gebracht haben, dann ist es sehr wohl möglich, dass sie den aramäischen Satz aus dem Gedächtnis unterschiedlich wiedergegeben haben, wobei sie immer noch eine erstaunlich ähnliiche Formulierung gefunden haben. Eines ist jedoch klar: eine hebräische Version gibt es hier nicht. Dieses Szenario ist natürlich auch anders vorstellbar, also nicht mit Augenzeugen, jedoch kommen wir hier an einen wichtigen wissenschaftstheoretischen Punkt, der meines Erachtens bei dem Begriff "unauflösbare Widersprüche" außer acht gelassen wird: Geschichtswissenschaft ist nie eindeutig. Es geht ausschließlich um Plausibilitäten. Es ist durchaus richtig, dass es sehr schwierige Textstellen in der Bibel gibt. Allerdings ist es auch ein Fakt, dass so manche dieser Stellen durch fortschreitendes Wissen plausibel erklärt werden konnte. So sind die 5 Säulenhallen aus Johannes 5,2 inzwischen archäologisch ausgegraben worden. Hier zeigt sich sogar, dass der Schreiber des Johannesevangeliums die Gegebenheiten sehr genau kannte. Es gibt noch mehr solche Beispiele.

Nebenbei bemerkt, ich bin Semitist und Altorientalist. Ich habe in gewisser Hinsicht einen ähnlichen Werdegang wie du und bin u. a. auch brüdergemeindlich geprägt. Ich kenne die Fakten, die du in deinen PDFs aufzählst und auch einige der Diskussionen zu Schöpfung vs. Evolution. Allerdings muss ich sagen, dass ich meinen Glauben von Tag zu Tag gestärkt sehe, wenn ich mich mit diesen Themen auseinander setze. Ich bin kein Verfechter der "Verbalinspiration" und kenne die Spannung, zwischen der sich wissenschaftliche Erkenntnisse und biblische Aussagen bewegen. Tatsächlich bin ich mit einer gewissen Dogmatik in den Brüdergemeinden nicht sehr glücklich, da diese zu einem verzerrten Bild führt, welches tatsächlich durch wissenschaftliche Erkenntnisse in Frage gestellt werden kann. Für mich ist es jedoch wichtig, zwischen den Lehren, die wir für uns entwickelt haben und die nicht immer korrekt sein müssen und den Aussagen der Bibel - soweit wir diese im Deutschland des 21. Jh. n. Chr. korrekt verstehen können - zu unterscheiden. Ich habe manche dieser Dogmen in Frage gestellt gesehen. Das hat mich jedoch dazu angeregt, die Bibel mit neuen Augen zu lesen und mir die Frage zu stellen, ob wir etwas falsch verstanden haben und wie es richtig zu verstehen ist. Dabei bin ich auf sehr wertvolle Gedanken gekommen. Diese Herausforderung hat mich also tiefer in meinem Glauben reifen lassen und neue Perspektiven eröffnet. Hilfreich ist dabei auch das Studium der alten Sprachen und vor allem der Kultur des Alten Orients, durch die sich viele alttestamentlichen Aussagen viel besser verstehen lassen. Manchmal ist es unsere Brille,die uns daran hindert, die Texte richtig zu verstehen. Ich glaube nicht, dass unsere so unterschiedlichen Schlussfolgerungen, die wir aus denselben Fakten ziehen einen rein kausalen Zusammenhang haben, denn wie bereits gesagt, kann man in der historischen Wissenschaft Fakten durchaus unterschiedlich einordnen, wenn man deren Plausibiltät entsprechend einschätzt. Es ist allerdings nicht möglich, die jeweils andere Sichtweise als unmöglich anzusehen. Man kann sie lediglich als weniger plausibel erachten. Wissenschaftstheoretisch beginnt jedoch jede Forschung mit einer Grundannahme, die per Definition nicht wissenschaftlich belegbar ist. Jeder geht mit einer Weltanschauung an die Sache heran und wir sollten so ehrlich sein, dies zuzugeben. Und genau hier sehe ich den Grund für unsere unterschiedliche Entwicklung. Ich kenne Jesus nicht nur aus der Bibel, sondern ich habe ihn so hautnah und persönlich erlebt, dass es für mich außer Frage steht, ob existiert. Das wäre, als ob man mir erzählen wollte, meine Ehefrau sei nicht real. Das ist meine Grundannahme. Und unter diesen Vorzeichen versuche ich mit den Herausforderungen, die sich mir stellen, umzugehen. Bei dir habe ich das Gefühl, wenn ich das mal so ehrlich sagen darf, dass du im tiefen Inneren eine andere Motivation hast, die dich dazu bringt, die Evidenz so einzuordnen, wie du es machst und nicht bei der sachlichen Ebene stehen zu bleiben, sondern darüber hinaus einen missionarischen Eifer für die Unglaubwürdigkeit der Bibel zu entwickeln. Ich weiß nicht, was es ist und vielleicht bist du dir selbst dessen nicht einmal bewusst, aber ich denke, dass da etwas ist.

Ich habe mir die Zeit genommen, diese Zeilen zu schreiben, weil ich vieles, was du schreibst, nachvollziehen und teilweise bestätigen kann. Ich habe das Gefühl, dass wir nicht sehr unterschiedlich sind. Allerdings sehe ich auch keine Sinnhaftigkeit darin mit dir zu diskutieren, da es aus meiner Sicht nicht an den Argumenten hängt, sondern an den Denkvoraussetzungen. Anstatt dessen, werde ich für dich beten, dass Gott dir Weisheit bei deiner Suche nach Wahrheit gibt. Solltest du ein ernsthaftes Bedürfnis haben, dich mit mir auszutauschen, bin ich gerne dazu bereit. Sinnlose Diskussionen über gegnsätzliche Standpunkte möchte ich jedoch nicht führen.

Liebe Grüße, Johannes

Von: Markus M.
◷ 14 Mai
(vor 5 Tagen)

Hallo Johannes, danke für deinen ausführlichen Kommentar. Gerne möchte ich auf ein paar Punkte eingehen:

Ich hab nicht geschrieben, dass "lema sabachtani" hebräisch ist, sondern „eli“. Eli ist jedenfalls die griechische Transkription vom hebräischen אֵלִי.
Ob אֵלִי auch aramäisch ist, kann jetzt auf Anhieb nicht nachprüfen, da mir Cook 2015 nicht zur Verfügung steht. Schick mir doch einen Scan der entsprechenden Seite per Mail.

Im „Exegetisches Wörterbuch zum Neuen Testament“ steht jedenfalls zu Markus 15,34: „Ελωι, ελωι, λεμα σαβαχθανι („Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“) steht Mk 15, 34 als Ausruf Jesu unmittelbar vor seinem Tod. Dies ist die (transkribierte) aram. Übers. des hebr. Halbverses Ps 22, 2a. Die von Mk 15, 34 abhängige Parallele Mt 27, 46 bietet die hebr.-aram. Mischform: Ηλι, ηλι, λεμα σαβαχθανι. Der Textzeuge D weist Mk 15, 34 par. Mt 27, 46 übereinstimmend die hebr. Variante Ηλι, ηλι, λαμα ζαφθανι auf; zu dieser gelehrten Korrektur s. Dalman Worte 42f. Beide Synopt. lassen auf das Ps-Zitat unmittelbar die Übers. ins Griech. folgen, deren Varianten von der LXX-Fassung etwas abweichen.“

Aber selbst wenn אֵלִי eine aramäische Variante ist, so bleibt der Widerspruch ja trotzdem bestehen, denn es stellt sich die Frage, ob Jesus nun ἠλί oder ἐλωΐ gerufen hat.

In deiner Arbeitshypothese sagt du ja selbst, dass die Autoren den „aramäischen Satz aus dem Gedächtnis unterschiedlich wiedergegeben haben, wobei sie immer noch eine erstaunlich ähnliiche Formulierung gefunden haben.“ Ähnlich ist aber nicht ident und demnach ist es ein Unterschied und wir wissen nicht, was Jesus nun wirklich gesagt hat. Ein Autor überliefert jedenfalls den falschen Wortlaut. Du kannst dir aussuchen, welcher es ist :-)

Zu Johannes 5,2: Ich glaube niemand bezweifelt, dass es diese Säulenhallen wirklich gegeben hat. Die Frage ist jedoch, ob das stimmt, was Jesus dort vollbracht hat. Wenn man die Odyssee von Homer liest, findet man auch genügend Orte die archäologisch ausgegraben wurden (z.B. Troja) oder die es wirklich gibt (z.B. Ithaka). Was aber Odysseus alles erlebt hat, nimmt hingegen niemand für bare Münze. In sogut wie jedem Märchen werden Fakten und Fiktion miteinander vermischt. Nur weil ein paar banale Dinge stimmen, heißt das noch nicht, dass deswegen die irrationalen Dinge auch stimmen.

Zu deinem zweiten Absatz: Dass du dich von Tag zu Tag gestärkt siehst, wenn du dich mit den Themen auseinandersetzt, kann ich nicht ganz nachvollziehen. Gerade wenn es um Schöpfung vs. Evolution geht, hat die Bibel da (m.M.n.) eher schlechte Karten. Du kannst mir ja persönlich schreiben, was du hier bei dem Thema glaubst. Ebenso was du nun unter Inspiration verstehst? Wie verstehst du 2. Tim. 3,16? Und wer entscheidet, was nun Gottes Wort ist und was nicht?

Wenn du schreibst „Ich kenne Jesus nicht nur aus der Bibel, sondern ich habe ihn so hautnah und persönlich erlebt, dass es für mich außer Frage steht, ob existiert.“ Okay. Tatsache ist aber, dass es spirituelle Erlebnisse in jeder Religion gibt. Sie sind also kein Beleg für die Richtigkeit des Glaubens. Siehe: https://www.youtube.com/watch?v=UJMSU8Qj6Go und https://www.youtube.com/watch?v=ScNYY44sFAw
Ich kenne persönlich auch Leute, die behaupten sie hätten Maria gesehen und andere behaupten sie stehen mit Engel in Kontakt und bekommen Kraft von ihnen. Das alles überzeugt mich aber nicht wirklich – und dich vermutlich auch nicht.

Von: RF
◷ 13 Dezember
(vor 1 Jahr)

Hallo. Ich bin gerade zufällig auf deine Website gestoßen. 

Für mich stellt sich hier absolut kein Widerspruch dar. Wäre dies ein Widerspruch, so würde man ebenso vor Gericht Zeugenaussagen nicht glauben dürfen, wenn sie sich nicht zu 100% decken. Und die Evangelien sind Zeugenaussagen, jedes mit den Schwerpunkten und nach dem Verständnis des Verfassers. 

Die Aussagen klingen ja extrem ähnlich. Für den einen wird es aramäisch geklungen haben, für den anderen hebräisch. Die Bedeutung ist ja die gleiche und daher nimmt sich das nichts, wie in vielen anderen Fällen von scheinbaren Widersprüchen der Bibel auch. Der Kern bleibt.

Von: Markus M.
◷ 14 Dezember
(vor 1 Jahr)

Woher weißt du denn, dass die Evangelien Zeugenaussagen sind und nicht einfach augeschmückte Erzählungen und erfundene Geschichten?

Glaubst du auch Joseph Smith, wenn er erzählt, dass der Engel Moroni ihm goldene Platten überrecht hat und es Zeugenaussagen gibt, welche die Platten gesehen haben?

Außerdem wird vor Gericht genügend Zeugen kein Glauben geschenkt, eben weil Sie anderen Personenaussagen widersprechen.

Und das hier ist ja nicht der einzige Widerspruch in den Evangelien, der zeigt, dass die Autoren eben nicht glaubwürdig sind. Schau mal hier, wo Johannes den Todestag Jesu einfach auf ein anderes Datum festlegt: https://bibellexikon.com/widerspruch_in_johannes_19_14.html

Ich denke auch, dass die damalige Bevölkerung sehr wohl zwischen Hebräisch und Aramäisch unterscheiden konnte.